„ChatGPT hilft uns, wiederkehrende Prozesse und Fragestellungen zu automatisieren“

Wenn es um die Digitalisierung in Heilmittelpraxen geht, denken viele an Praxiscomputer, Software und Telematikinfrastruktur. Kevin Gensch und Patric Neunemann gehen aber noch einen Schritt weiter und nutzen in ihren Praxen Künstliche Intelligenz (KI). Sie erklären uns, welche Chancen und vor allem auch Alltagserleichterungen die KI bietet, wie Ihr Euch rantasten könnt, aber auch, welche Grenzen die KI ihrer Meinung nach hat. Kevin, Patric, Ihr nutzt KI für Eure Arbeit schon völlig selbstverständlich. Aber was waren Eure ersten Berührungspunkte? PATRIC: Wir sind immer auf der Suche nach Neuigkeiten, mit deren Hilfe wir unseren Arbeitsalltag optimieren können. Als wir dann vor 1,5 Jahren von ChatGPT gehört haben, haben wir uns eine Lizenz gekauft und mal ausprobiert, was das Programm eigentlich kann. Und wer es schon einmal auspro- biert hat, bekommt erstmal ganz große Augen, weil ChatGPT mittlerweile schon sehr gut funktioniert. Wenn ich dort eine Frage eingebe, bekomme ich schon wirklich gute Antworten. Wie sieht ChatGPT eigentlich aus? PATRIC: Nicht besonders spannend. Es ist ein Browserfenster und unten kann ich einen Text eingeben. Es sieht ein wenig aus wie bei WhatsApp. Dann schreibe ich einen Arbeitsauftrag in das Feld oder stelle eine Frage und dann schreibt ChatGPT einen Text in das freie Feld. Was ist denn der Unterschied zwischen Suchmaschinen wie Google und ChatGPT? KEVIN: Also Google liefert nur Ergebnisse zu anderen Websites. Die Informationen muss ich mir dann selbst zusammensuchen. ChatGPT übernimmt auch diese Arbeit für uns. Das System liefert fertige Texte, fertige Formulare, die ich sofort nutzen kann. PATRIC: ChatGPT hat auch den Vorteil, dass ich die Sprachsteuerung nutzen kann. Gerade über die App auf dem Handy funktioniert das sehr gut. Das läuft dann ähnlich wie bei Alexa. Ich stelle eine Frage und dann kann ich eine Stimme auswählen, die antwortet. Die Antwort wird vorgelesen. Neu ist, dass ChatGPT nun auch Zusatzfragen stellt: Möchtest Du noch mehr wissen? So kann man noch tiefer in die Thematik einsteigen. Das ist so mit Google nicht möglich. Wenn ich mit ChatGPT arbeite, fühlt es sich so an, als hätte ich einen Sparringspartner, der mir dabei hilft, immer tiefer in eine Materie einzutauchen. Für den Arbeitsalltag ist das echt hilfreich. Kevin und ich nutzen diese Funktion mittlerweile täglich. Einfach auch, weil es Zeit sparen kann. Es ist, als hätte ich einen ganz schlauen Assistenten? Wie unterhaltet Ihr Euch denn mit diesem Assistenten? Seid Ihr höflich oder gebt Ihr nur Stichworte ein? KEVIN: Das hat sich in den letzten 1,5 Jahren tatsächlich geändert. Am Anfang hieß es, man solle bitte sehr freundlich sein zu der KI, um bessere Ergebnisse zu bekommen. Das ist heute anders. Wir geben klare Befehle ein, am besten so präzise wie möglich. Könnt Ihr Beispiele nennen, wozu Ihr ChatGPT nutzt? Habt Ihr heute ChatGPT schon verwendet? PATRIC: Ich habe heute eine Glaubhaftmachung zur Vorlage bei der Visa-Behörde in Ägypten erstellt, weil wir einen Mitarbeiter gerne in Deutschland hätten. Diese Glaubhaftmachungen gibt es nicht im Internet als Vorlage, sondern ich habe ChatGPT eben gebeten, mir diese für Physiotherapeuten zu schreiben. Ich musste den Text anschließend nur noch in Word kopieren, den Namen des Mitarbeiters und meinen ergänzen und damit war die Arbeit quasi erledigt. Das kann ich dann ja auch in der Praxis zum Übersetzen nutzen, oder? Also, es kommt eine Patientin, die nur Serbokroatisch spricht und dann kopiere ich mein Anmeldeformular in ChatGPT, gebe den Befehl: Bitte einmal auf Serbokroatisch übersetzen und dann macht ChatGPT das? KEVIN: Ja, genau. Ich schreibe gerade mit meiner Kollegin mit ChatGPT ein Buch für ausländische Fachkräfte aus Serbien, die hier in Deutschland als Physiotherapeuten arbeiten wollen. Da geht es vor allem darum, physiotherapeutische Begriffe zu erklären. Die Vorlage habe ich mit ChatGPT geschrieben und sie prüft jetzt noch einmal alle Texte auf Grammatik, die kann manchmal ein wenig holprig sein. Also ChatGPT hilft im Praxisalltag auch bei den ganzen Fleißarbeiten, richtig? PATRIC: Ja, total. ChatGPT hilft uns vor allem dabei, immer wiederkehrende Prozesse und Fragestellungen zu automatisieren. Kevin und ich haben einen ChatBot auf unserer Website installiert, den Patienten zum Beispiel fragen können: Wann findet der nächste Kurs zur Rückengesundheit statt? Diesen ChatBot hat Kevin mit Kursplänen und Informationen von der Website usw. gefüttert. Mittlerweile kann dieser ChatBot zu 95 Prozent die Fragen der Patienten beantworten. Sie müssen dazu nicht mehr anrufen oder lange auf der Website suchen. KEVIN: Ich habe einige GPTs zum Thema Evidence-based Therapy gebaut, unter anderem zu Rückenschmerzen. Dazu habe ich das Programm mit verschiedenen Studien gefüttert. Hat nun eine Mitarbeiterin eine Frage zum aktuellen Stand der Wissenschaft, kann sie ChatGPT befragen und das System spuckt sehr zuverlässig die passenden Studienergebnisse aus. PATRIC: Genau, man kann ChatGPT auch trainieren. Ich kann auch sagen: Sei mein Studienmanager und lies Dir bitte alle Studien von Physio meets Science durch und gib Antworten, wenn meine Mitarbeiter oder ich Fragen zu aktuellen Studien oder Krankheitsbildern haben. Ich kann auch sagen: ChatGPT, sei doch bitte mein Personalrecruiter. Dann gebe ich ihm Aufgaben z. B. für das Personalmanagement, angefangen von Fragebögen für die Mitarbeitergespräche, Fahrtenbücher auswerten, schöne Texte für Stellenangebote schreiben usw. Also Ihr könnt Euren ChatGPT, den Ihr nutzt, trainieren bzw. mit Informationen füttern, die das Programm dann verwendet, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen? KEVIN: Um diese Funktion nutzen zu können, muss ich eine Lizenz erwerben. Die kostet im Moment 20 Dollar im Monat. Die Kosten sind also überschaubar. Dann suche ich Studien oder auch Leitlinien und lade die entsprechenden PDFs bei ChatGPT hoch. Ich kann dann sagen: Lies dieses Dokument bitte durch und merke Dir die Informationen unter dem Stichwort „Rückenschmerzen“. Je mehr Dokumente ich hochlade, desto größer ist dann die Sammlung an Quellen, die ChatGPT für Fragen zum Thema Rückenschmerzen nutzen kann – speziell für mich und meine Praxis. Ich kann dann eine Frage stellen und sagen: Beantworte diese Frage unter Berücksichtigung der Dokumente, ich Dir zur Verfügung gestellt habe. PATRIC: Eine Besonderheit ist auch, dass man ChatGPT sagen kann, ob er fachspezifisch kommunizieren soll oder eben auf normaler bzw. verständlicher Ebene. Das ist natürlich immer dann wichtig, wenn wir Texte entweder für Therapeuten oder Ärzte oder eben für Patientinnen und Patienten brauchen. Aber was ist denn mit dem Thema Datenschutz? Darf ich medizinische Daten in ChatGPT hochladen oder eingeben? KEVIN: Also, ja, natürlich unter der Voraussetzung, dass keine sensiblen Patientendaten hochgeladen werden. Patientendaten würden wir dort niemals hochladen. Therapiepläne, Behandlungsbilder usw. können wir hochladen, aber nie mit Namen oder Gesichtern. Alles muss anonymisiert sein. Das ist klar. Es wurde auch kürzlich im AI-Act (dem EU-Gesetz zur künstlichen Intelligenz) beschlossen, dass das in der EU verboten ist. Also ist KI in der Behandlung eher schwierig? Wie sieht es denn in der Zukunft aus? Wird es da eine begleitende KI geben, die zum Beispiel meine Dokumentation für mich schreibt? PATRIC: Ja, das wird so kommen. Im Moment entwi- ckelt sich die KI so schnell. Wenn man einen Blick in andere Länder wirft, sieht man, was eigentlich alles möglich ist. In China ist der Großteil des Fernsehens schon über Avatare abgebildet. Da werden Moderatoren abgescannt und dann werden daraus künstliche Personen entwickelt und für das Fernsehen genutzt. Da sitzen kaum noch richtige Menschen. Im medizinischen Bereich kann man MRTs zum Beispiel viel kleiner gestalten, sodass sie auch in eine normale Hausarztpraxis passen. Die KI ist in der Lage, die Bilder so zu ergänzen, dass diese extrem hochauflösenden Bilder gar nicht immer nötig sind. Daher ist es auch in der Heilmittelbranche ganz wichtig, sich nicht vor technischen Dingen zu verschließen, weil auch unsere Hersteller, die Trainingsgeräte, Geräte für Ganganalysen oder Mobilisation herstellen, auf KI zurückgreifen werden. Das gibt es ja heute schon. Auf einer Messe wurden Apps zur Sturzprophylaxe in der Pflege vorgestellt, die anhand meines Gangmusters erkennen konnten, ob ich gefährdet für Stürze bin. Und dann schlagen die Apps direkt Übungen vor, die ich machen kann, um mein Sturzrisiko zu verringern. Das ging einfach übers Handy. KEVIN: Genau, solche Apps werden Behandlungen aber nicht ersetzen, sondern eher optimieren und gezielter strukturieren können. Und wir können darüber auch viel schneller und einfacher Daten sammeln, die wir vergleichen können. Wie war das Gangbild am Anfang der Therapie und wie ist es jetzt? Auch Übungsüberwachung für zu Hause ist möglich. Patienten machen zu Hause eine Übung und die App kann über eine Videofunktion korrigierend eingreifen. Könnt Ihr Euch vorstellen, dass manche Heilmittelerbringer:innen Angst vor KI haben? KEVIN: Natürlich. Das ist auch verständlich. Jeder kennt den Film iRobot, in dem die KI plötzlich die Führung übernimmt. Es ist auch okay, dass man Respekt vor den neuen Möglichkeiten hat. Wir haben auch ein oder zwei Leute bei uns, die sich dagegen sperren. Die wollen aber auch kein Smartphone haben. Dann ist es auch in Ordnung, wenn jemand die Möglichkeiten nicht nutzen möchte. Wir zwingen niemanden dazu. Auf der anderen Seite gibt es auch Kolleginnen und Kollegen, die eben mit ChatGPT und den ChatBots gerne in der Therapie arbeiten. Wie muss ich mir das vorstellen? KEVIN: Wir haben bei uns ein Team „Evidence-based“. Dieses setzt sich einmal in der Woche zusammen und schaut sich die neuesten Studien an, nutzen dazu auch ChatGPT oder andere KI, die sich darauf speziali- siert haben, Studien herauszufiltern. Sie füttern dann die Programme und stellen den anderen Kollegen die Ergebnisse zur Verfügung. Das finden dann alle wieder ganz gut, vor allem die junge Generation. Wir schauen dann natürlich auch: Müssen wir unsere Behandlungsansätze anpassen und wenn ja, wie? Aber müssen die Therapeut:innen Studien nicht auch kritisch lesen können? Also, sie müssen ja überprüfen können, ob das auch alles so stimmt, oder? PATRIC: Ja, das ist schon richtig, aber wir haben nicht nur junge Therapeuten im Team, sondern auch alte Hasen, die den Studienverlauf der letzten Jahre kennen. Wir haben einen sehr wissbegierigen Sportwissenschaftler dabei, der alle Studien gerne mitverfolgt. Und wenn Ergebnisse herauskommen, die bei allen ein Fragezeichen im Kopf hinterlassen, dann überprüfen wir natürlich auch noch einmal alles. Das hatten wir aber tatsächlich noch nie. KI kann helfen, aber man muss trotzdem noch seinen Kopf nutzen, aufmerksam und kritisch bleiben. Das ist ganz wichtig. Was geben wir jetzt den Leuten mit auf den Weg, die noch zurückhaltend sind? KEVIN: Man kann erstmal auch die kostenfreie Version nutzen. Und dann würde ich ChatGPT einfach einmal ausprobieren. Dabei müsst Ihr gar keine therapeutischen Themen nutzen. Befragt das Programm nach einer Fehlerbehebung am Fernseher, stellt ganz allgemeine Fragen oder gebt lustige Befehle. Ihr könnt ChatGPT auch mal überprüfen bei Themen, bei denen Ihr Euch gut auskennt. Ihr könnt mithilfe der KI auch echt Zeit und Geld sparen. Ihr könnt Formulare und Vorlagen erstellen, Suchmaschinenoptimierung durchführen, Logos entwickeln, Flyertexte schreiben lassen und vieles mehr. Man hat immer sehr schnelle Erfolge. Hörtipp: Kevin Gensch und Patric Neunemann im up-podcast Das gesamte Gespräch mit Kevin Gensch und Patric Neunemann könnt Ihr Euch im up-podcast unter www.up-aktuell.de/KI anhören.