Was genau ist eigentlich Ergotherapie?

Gesundheit ist ein wichtiger Aspekt der Lebensqualität. Wie sehr wir in der Lage sind, selbstständig zu handeln, die Dinge des täglichen Lebens zu regeln und durchzuführen und das zu tun, was uns wichtig ist, trägt entscheidend zum Wohlbefinden bei. Wer darin beeinträchtigt ist, etwa nach einem Unfall, durch eine Erkrankung oder eine Behinderung, kann sehr darunter leiden. Unfähigkeit und Untätigkeit führen auf Dauer oft zu persönlichem Frust, zu Minderwertigkeitsgefühlen, Depressionen und anderen Erkrankungen – und auch zur sozialen Ausgrenzung.Genau hier setzt die Ergotherapie an: Sie stellt die Betätigung in den Mittelpunkt. Sie ist das Fundament, um die körperlichen, kognitiven und psychosozialen Fähigkeiten einer Person zu fördern und wiederherzustellen. Denn jedes erfolgreiche menschliche Handeln und Tun entfaltet seine Wirkung. Genau das ist im ergotherapeutischen Fachjargon mit „Betätigung“ gemeint. Es geht darum, dass der Mensch die ihm wichtigen Betätigungen ausführen kann und somit im Alltag gut zurechtkommt. Die Ergotherapie nimmt immer bei der Betrachtung, Beratung und Behandlung das Individuum in den Blick. Es geht um die Person, ihr Alter, ihre Lebenssituation und -phase, ihre Probleme und Erkrankung, aber auch ihre Voraussetzungen und Fähigkeiten – kurzum um alles, was auf ihr Leben wirkt. Schwerpunkt: Handlungsfähigkeit Ergotherapeutische Handlungsfelder sind grundsätzlich alle Bereiche des täglichen Lebens wie Schule, Arbeit, Freizeit und Selbstversorgung. Die Klientinnen und Klienten kommen meistens aus der Pädiatrie, Neurologie, Orthopädie, Psychiatrie oder Geriatrie. Ergotherapeutische Themen sind Handlungsfähigkeit und Selbstständigkeit. Sobald jemand wegen einer Erkrankung in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder von Einschränkung bedroht ist und dadurch Schwierigkeiten hat, Alltägliches zu bewältigen, liegt in der Regel eine Indikation für Ergotherapie vor. Die Therapierenden versuchen, alltägliche Handlungen in die Therapie aufzunehmen. Kann zum Beispiel ein Klient nach einem Schlaganfall sein Hemd nicht mehr zuknöpfen, werden Beweglichkeit oder Wahrnehmung therapiert. Zusätzlich wird direkt das Hemdzuknöpfen trainiert. Ist die Einschränkung zu stark, ziehen die Therapierenden Hilfsmittel hinzu und erklären sie. Oder sie prüfen, ob eine Anpassung möglich ist wie größere Knöpfe oder ein Klettverschluss. Ergotherapie unterstützt also individuell dabei, die Handlungsfähigkeit wieder herzustellen oder zu verbessern. Therapierende stärken Betroffene jeder Altersgruppe, ihren persönlichen Alltag zu bewältigen. Ziel dabei ist auch, die gesellschaftliche Teilhabe zu erhalten oder (wieder) zu erreichen. Dafür setzt die Ergotherapie auf spezifische Aktivitäten, Umweltanpassung und Beratung. Zur Umweltanpassung gehört neben der Nutzung von Hilfsmitteln die Restrukturierung des Umfelds, zum Beispiel im Wohnbereich oder bei der Arbeit. Ergotherapeutinnen und -therapeuten möchten die aktive Rolle von Menschen in der Therapie betonen. Daher sprechen sie lieber von Klient:innen als von Patient:innen. Wie verläuft eine Therapiesitzung Der Ablauf jeder Therapiesitzung ist individuell und richtet sich nach der behandelten Person, der Problemstellung, Zielsetzung und dem Fortschritt in der Therapie. Bei motorisch-funktionellen Behandlungen kann zum Beispiel der Schwerpunkt in den ersten Einheiten auf der Verbesserung einer Körperfunktion liegen – vorbereitend für die Verbesserung der Alltagsfähigkeit. Was also macht der Ergotherapeut? Befunde erstellen Therapieziele gemeinsam mit Klient:innen festlegen Körperfunktionen trainieren Aktivitäten verbessern Partizipation optimieren Hilfsmittel anpassen Umfeld adaptieren Die Therapie erfolgt auf sehr unterschiedliche Weise. Ihre Inhalte sind unter anderem Wasch- und Anziehtrainings, handwerkliche Tätigkeiten, die Förderung der Alltagsstrukturierung, Gangschulungen und die Verbesserung der Handkraft mithilfe von Therapieknete. Einsatz von Modellen In der Ergotherapie kommen Modelle zum Einsatz, die Theorie und Praxis verbinden und als Rahmenkonzepte die ergotherapeutische Praxis leiten. Da sie einen Überblick über die grundlegenden Konzepte und Prinzipien bieten, können Therapierende sie nutzen, um Ergotherapie und das ergotherapeutische Handeln einfach und schematisch zu beschreiben. Als Therapierahmen helfen sie außerdem, die Patientenbedürfnisse und -ziele zu verstehen und zu berücksichtigen. Inhaltsmodelle definieren zentrale Elemente der ergotherapeutischen Theorie und setzen sie zueinander in Beziehung. So verdeutlichen sie die Sichtweise der Ergotherapie auf ihr Handlungsfeld und ihr Selbstverständnis. Prozessmodelle beschreiben den konkreten Ablauf ergotherapeutischen Handelns, gewöhnlich vor dem Hintergrund eines Inhaltsmodells. Weil sie meistens dem typischen ergotherapeutischen Ablauf Befunderhebung und Analyse, Zielplanung, Durchführung und Überprüfung folgen, sind sie als Leitfaden für die einzelnen Schritte im konkreten ergotherapeutischen Therapieprozess nutzbar. Das Canadian Model of Occupational Performance (CMOP) ist beispielsweise ein biopsychosoziales Modell, das sich auf die Teilhabe an wichtigen Lebensbereichen konzentriert. Es setzt die Klientenzentrierung in den Mittelpunkt und unterteilt die menschliche Betätigung in Selbstversorgung, Produktivität und Freizeit. Die Person wird als ein aktives und sich entwickelndes Wesen betrachtet, das die Umwelt beeinflusst und von ihr beeinflusst wird. Die Umwelt wiederum gilt als ein komplexes System, das aus physikalischen, sozialen und kulturellen Faktoren besteht. Somit ist Betätigung hier ein komplexer Prozess, der durch die Interaktion von Person und Umwelt beeinflusst wird. Tipp: Einen prima Einblick in Ergotherapie und das, was Ergotherapeutinnen und -therapeuten tun, gibt dieses Video. Vorrangige Heilmittel Ergotherapeutinnen und -therapeuten betrachten die betroffene Person, analysieren die Alltagsprobleme und vereinbaren individuelle Ziele – und zwar unabhängig davon, welches Heilmittel verschrieben ist. Vorrangig sind es diese: Motorisch-funktionelle Behandlung: Hier geht es darum, krankheitsbedingte Schädigungen der motorischen Funktionen zu therapieren. Schädigungen des Nervensystems können dabei vorliegen, müssen es aber nicht. Im Vordergrund stehen die daraus resultierenden Beeinträchtigungen von Aktivitäten und Teilhabe. Ein Schwerpunkt ist die Handtherapie. Auf Schädigungsebene kann das Ziel die Wiederherstellung und Besserung der Muskelkraft sein. Auf Aktivitäts- und Teilhabeebene kann das Ziel die Wiederherstellung der Selbstversorgung sein. Hirnleistungstraining: Mithilfe des Hirnleistungstrainings werden krankheitsbedingte Schädigungen mentaler Funktionen und die daraus resultierenden Alltagsbeeinträchtigungen therapiert. Das erfolgt beispielsweise, wenn die kognitiven Fähigkeiten durch einen Schlaganfall eingeschränkt sind. Auf Schädigungsebene kann das Ziel eine verbesserte Aufmerksamkeit sein, auf Aktivitäts- und Teilhabeebene eine wiederhergestellte Arbeitsfähigkeit. Sensomotorisch-perzeptive Behandlung: Sie wird bei krankheitsbedingten Schädigungen der sensomotorischen oder perzeptiven Funktionen angewandt, ebenso bei den daraus resultierenden Beeinträchtigungen von Aktivitäten und Teilhabe. Ein Ziel auf Schädigungsebene ist zum Beispiel die Entwicklung oder Verbesserung der Körperwahrnehmung. Auf Aktivitäts- und Teilhabeebene kann es um eine wiederhergestellte Alltags- und Handlungskompetenz im Umgang mit Hilfsmitteln gehen. Psychisch-funktionelle Behandlung: Sie wird bei krankheitsbedingten Schädigungen mentaler Funktionen eingesetzt, insbesondere bei psychosozialen, emotionalen, psychomotorischen oder Funktionen der Wahrnehmung. Resultieren aus den Schädigungen Beeinträchtigungen von Aktivitäten und Teilhabe, eignet sich die Behandlung ebenfalls. Ein Ziel auf Schädigungsebene kann die Stabilisierung oder Besserung globaler mentaler Funktionen sein, etwa die Orientierung zu Ort, Zeit und Person. Ein Ziel auf Aktivitäts- und Teilhabeebene kann sein, die Durchführung täglicher Routinen zu erhalten oder wiederherzustellen. Ein Beispiel: Ein Klient mit Depressionen ist nicht in der Lage, seinen Alltag zu strukturieren. Diese Fähigkeit möchte er zurückerlangen, um wieder in den Beruf zurückkehren zu können. In der Ergotherapie geht es nun konkret darum, an einer besseren Alltagsstrukturierung zu arbeiten. Möglichkeiten wären hier, Tagespläne zu erstellen oder feste Termine im Alltag zu verankern, beispielsweise die Vereinbarung einer festen Uhrzeit für das Aufstehen. Dieses Beispiel zeigt, wie Ergotherapie Patientinnen und Patienten mit psychischen Erkrankungen unterstützen kann. Eine Psychotherapie ersetzt sie natürlich nicht. Sinnvolle Ergänzung zu Physiotherapie Die Ergotherapie arbeitet auf allen ICF-Ebenen. Das heißt, sie beschäftigt sich mit Körperfunktionen, -strukturen sowie Aktivitäten und zusätzlich mit Partizipation, Umwelt- und personenbezogenen Faktoren. Somit geht die Ergotherapie immer ganzheitlich vor. Erlebt jemand wegen einer Erkrankung Einschränkungen im Alltag oder ist davon bedroht, hilft Ergotherapie. Diese kann zur Physiotherapie sinnvoll ergänzt werden. Ein Beispiel: Eine Physiotherapeutin trainiert die Armfunktion einer Schlaganfallpatientin. Während der Therapie zeigt sich, dass die Patientin aufgrund der eingeschränkten Armfunktion Schwierigkeiten beim Ankleiden hat. Eine Indikation für Ergotherapie ist gegeben. Optimal: interdisziplinäres Teamwork Die beiden Berufsgruppen ergänzen sich wunderbar, daher ist eine Zusammenarbeit naheliegend. Sie erfolgt bereits oft aktiv in Kliniken, Seniorenheimen und in interdisziplinären Therapiezentren. Auch Therapiepraxen gehen dazu über, eine Zusammenarbeit aufzubauen und voneinander zu profitieren durch: gemeinsame Fallbesprechungen Absprache der Therapieziele und -inhalte zur optimalen Patientenversorgung gemeinsame Durchführung der Therapie bei schwerer betroffenen Klient:innen, z. B. um Lagerung und Transfer optimal zu gestalten gegenseitige Hospitation, um sicher erkennen zu können, ob eine Indikation für das andere Heilmittel besteht gemeinsame interne Fortbildungen, um einzelne Inhalte in die eigene Therapie zu übernehmen (Ein Beispiel: Die Ergotherapeutin schult intern zum Thema Konzentration. Die Physiotherapeutin therapiert ein Kind, dem es schwerfällt, sich auf die Therapie zu konzentrieren. Sie kann Tipps der Ergotherapeutin in der Therapie umsetzen, um mehr Konzentration zu erreichen und dadurch die Therapiequalität zu verbessern.) Nutzung der ergotherapeutischen Expertise zur Hilfsmittelversorgung Am 27. Oktober findet der Welttag der Ergotherapie statt. Er hat das Ziel, den Bekanntheitsgrad des Berufes zu erhöhen und Kompetenzen und Potenziale von Ergotherapie klarzumachen. Vielleicht ist er für Dein Praxismarketing nutzbar.