„Wir müssen uns professionalisieren und emanzipieren“

Hebammen und Pflegekräfte sollen zu Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nicht mehr nur Stellung nehmen, sondern mitreden dürfen. Das sieht der Gesetzentwurf des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) vor. Was bedeutet das und wo bleiben dabei eigentlich die Heilmittelerbringer? Darüber wollten wir mit den Berufsverbänden der Branche sprechen. Christiane Sautter-Müller, zweite Vorsitzende von LOGO Deutschland, dem Berufsverband der Selbstständigen in der Logopädie, ist unserer Einladung gefolgt und hat sich mit Ralf Buchner im up-podcast zum Thema ausgetauscht. Hier ist ein Ausschnitt aus diesem Gespräch. Christiane, der Bundesgesundheitsminister hat in einem Gesetzentwurf die Beteiligungsrechte der Hebammen und Pflegekräfte im G-BA gestärkt. Wie findest Du das? Ich finde das großartig, absolut großartig und sehe es wie eine Art Eisbrecher. Es ist jetzt ein kleines Schifflein mit enormer Kraft unterwegs, das das Eis brechen und den Weg freimachen wird, wenn wir hinterhersegeln. Aber bisher durften Pflege und Hebammen doch auch Stellung nehmen. Was ist denn der Unterschied zwischen dem Recht zur Stellungnahme und Beteiligungsrechten? Stellungnahme heißt, man bekommt ein fertiges Ergebnis, daran kann man dann herumkritteln. Das heißt, man arbeitet sich an einem fertigen Werk ab, das diejenigen, die es erstellt haben, natürlich mit Zähnen und Klauen verteidigen. Gesetzlich ist lediglich vorgesehen, dass Stellungnahmen in die Entscheidung einzubeziehen sind. Es reicht also, wenn sie mal jemand gelesen hat. Das war’s aber auch. In den Beschlussprotokollen kann man dann so etwas nachlesen wie: Die Stellungnahme von Christiane Sautter-Müller für LOGO Deutschland haben wir zur Kenntnis genommen. Es besteht kein Änderungsbedarf. Genau, man kann sich die Finger wund schreiben, recherchieren und begründen, ohne dass es irgendeine Wirkung hat. Wenn man allerdings direkt in der Diskussion bei der Erstellung einer Leitlinie oder eines anderen Papiers dabei ist oder sogar Anträge stellen kann, ist das natürlich etwas komplett anderes. Es stellt sich also die Frage, warum die Hebammen und die Pflege, aber nicht die Heilmittelerbringer diese Rechte bekommen sollen. Gibt es für Dich einen erkennbaren Grund, warum die Heilmittelerbringer im Gesetzentwurf nicht genannt werden? Ganz spannend fand ich in der Begründung vom BMG bei den Hebammen, dass die ja eigenverantwortlich und nicht auf ärztliche Anweisung oder Verordnung arbeiten und deswegen mehr als nur ein Stellungnahmerecht brauchen. Auch bei der Pflege gibt es Modellvorhaben bzw. Module in der Ausbildung zur Übertragung von Heilkunde, also von eigentlich ärztlichen Aufgaben. Diese Berufsgruppen fangen an, sich zu emanzipieren. Die Hebammen sind inzwischen akademisiert. Bei der Pflege weiß man, dass auch der beste Krankenhausarzt ohne die Pflege nichts ausrichten kann. Die machen eine sehr gute Lobbyarbeit und haben mit dem Deutschen Pflegerat einen kompetenten Ansprechpartner geschaffen. Du sagst, dass die Nennung der Pflege und Hebammen im Gesetzentwurf jetzt der Startschuss dafür sein müsste, dass auch die Heilmittelerbringer aufgenommen werden, richtig? Richtig, das sehe ich so. Letztendlich müssen wir Heilmittelerbringer aber auch an uns arbeiten. Wir müssen uns professionalisieren und emanzipieren. Das funktioniert aber nicht, wenn wir nicht einmal eine Blankoverordnung vernünftig umgesetzt bekommen. Wir brauchen eine Einigung auf den ganz großen Linien. Wir sollten die Blankoverordnung ausprobieren, auch in der Logopädie. Wir sollten auf den Direktzugang hinarbeiten. Aber wenn wir den Direktzugang wollen, brauchen wir natürlich auch Strukturen, um mit der auf uns übertragenen Verantwortung umzugehen, sprich eine Selbstverwaltung – in irgendeiner Form. In die Zukunft gesponnen, bräuchten wir so eine Art kassentherapeutische Vereinigung, in der alle Praxen Mitglied sein müssen, die ambulant GKV-Patienten versorgen. Dann hätten wir eine große Schlagkraft und stärkere Finanzen. Außerdem wäre klar, welche Interessen vertreten werden, nämlich die derer, die die ambulante Versorgung stemmen. Wenn Du über so etwas mit Gesundheitspolitikern sprechen würdest, würdest Du offene Türen einrennen. Die sagen: Na klar, werdet Euch einig, dann machen wir das. Ja, nur gibt es derzeit keinen Zwang zur Einigung. Wir haben aktuell eine Vielfalt, die ich im Prinzip auch gut finde. Wenn wir mal auf die Ärzte schauen, die haben die KVen, die sie auf wirtschaftlicher Ebene und auch im G-BA vertreten, die Ärztekammer, die das Berufsbild definiert und weiterentwickelt, und sie sind noch in ihren jeweiligen Fachverbänden, dem Fachverband der Kinder- und Jugendärzte, der Orthopäden usw. Daran sieht man, die von mir genannte kassentherapeutische Vereinigung würde gar nicht in Konkurrenz zu den Berufsverbänden treten. Es sind einfach ganz andere Aufgaben. Christiane, vielen Dank für das Gespräch! Hörtipp Christiane Sautter-Müller im up-podcast Das komplette Gespräch mit Christiane Sautter-Müller könnt Ihr Euch im up-podcast anhören: www.up-aktuell.de/podcast-csm